Im weißen Rauschen der Tech-Innovationen ist es selten, dass etwas wirklich Neues die digitale Landschaft verändert. Wir werden sehen, aber im Digital Sales könnte der Launch von Verb durchaus als ein Wendepunkt in die Geschichte eingehen. In einem Studio in Los Angeles steht Kultstar Frankie Avalon vor der Kamera und präsentiert seine neueste Produktlinie – nichts Ungewöhnliches, bis auf die Tatsache, dass neben ihm eine nahezu identische digitale Version seiner selbst existiert, die jede seiner Gesten und Ausdrücke in Echtzeit erlernt.
Die unsichtbare Revolution des Online-Shoppings

Was hier geschieht, ist die Geburtsstunde einer kommerziellen KI-Revolution. Verb Technology hat nach monatelanger Vorbereitung die Integration des kürzlich übernommenen KI-Startups LyveCom abgeschlossen und führt nun erstmals hyperrealistische KI-Avatare in seine MARKET.live-Plattform ein – digitale Moderatoren, die von menschlichen kaum zu unterscheiden sind und die rund um die Uhr verkaufen können.
„Wir lösen ein fundamentales Problem des E-Commerce: die Fragmentierung,“ erklärt Rory J. Cutaia, CEO von Verb Technology, während er durch die neuen virtuellen Verkaufsräume navigiert. „Ein Händler musste bisher für jeden Kanal separate Inhalte erstellen und verwalten. Diese Ära ist jetzt vorbei.“
Was Cutaia beschreibt, klingt zunächst technisch unspektakulär: One-Click-Simulcasting über TikTok Shop, Shopify und eigene Websites. Die eigentliche Innovation liegt jedoch tiefer – in der Fähigkeit, soziale Medieninhalte in adaptive Shopping-Erlebnisse zu transformieren, die sich in Echtzeit an individuelle Nutzer anpassen.
Digitale Verkäufer mit Gedächtnis und emotionaler Intelligenz

Die virtuellen Hosts sind keine statischen Avatare. Trainiert mit zehntausenden Stunden Verkaufsvideos, analysieren sie Kaufhistorien und nutzen fortschrittliche Natural Language Processing-Modelle, um mit Kunden in einer Weise zu interagieren, die gruselig vertraut wirkt.
„Die Technologie erfasst nicht nur, was ein Kunde kauft, sondern wie er kauft,“ erläutert Maxwell Drut, ehemaliger LyveCom-CEO und jetzt CTO bei MARKET.live. In einem Demonstrationsvideo passt ein Avatar mühelos seinen Tonfall an, als er einen zurückkehrenden Kunden erkennt. „Sie mochten die Lederjacke von letztem Monat – diese neue Kollektion könnte Ihnen gefallen,“ schlägt der Avatar vor, während er subtil seine Körpersprache an frühere Interaktionen des Kunden anpasst.
Laut internen Studien erhöhen diese personalisierten Erlebnisse die Conversion-Raten um bis zu 20 Prozent – eine Zahl, die jeden E-Commerce-Manager aufhorchen lässt.
Frankie Avalon: Der unwahrscheinliche Tech-Pionier

Die Wahl von Frankie Avalon als Gesicht für den Launch mag überraschen. Der 84-jährige Entertainment-Veteran, bekannt aus den Beach-Party-Filmen der 1960er Jahre, scheint weit entfernt von der Schnittmenge zwischen künstlicher Intelligenz und E-Commerce.
Doch genau darin liegt die Brillanz der Strategie.
„Frankie repräsentiert Authentizität und Vertrauen für eine demographisch breite Zielgruppe,“ erklärt Cutaia. „Gleichzeitig demonstrieren wir, dass unsere Technologie jede Persönlichkeit präzise erfassen kann – vom TikTok-Influencer bis zur Entertainmentlegende.“
Während Avalon auf MARKET.live seine Gesundheitsprodukte präsentiert, fließt jede seiner Interaktionen in die Lernmodelle der KI ein. Die subtilen Nuancen seines berühmten Charmes – ein leichtes Kopfnicken hier, ein charakteristisches Lächeln dort – werden Teil des digitalen Gedächtnisses der Avatare.
„Es ist wie einen digitalen Zwilling zu haben, der niemals müde wird,“ kommentiert Avalon zwischen den Aufnahmen. „Früher musste ich für jede Werbekampagne ins Studio. Jetzt kann mein Avatar Tausende personalisierter Interaktionen gleichzeitig führen.“
Ein Billionen-Dollar-Markt im Umbruch
Verb positioniert sich strategisch in einem Markt, der laut Prognosen bis 2028 auf atemberaubende 1,29 Billionen Dollar anwachsen soll. Zum Vergleich: Das entspricht in etwa dem BIP Spaniens.
Die Integration von LyveComs Predictive Analytics erlaubt Händlern, Lagerbestände in Echtzeit an die aus Livestreams generierte Nachfrage anzupassen – ein Feature, das bisher nur Enterprise-Lösungen wie SAP anbieten konnten. Durch strategische Partnerschaften mit Tapcart, Klaviyo und Recharge erhalten über vier Millionen Shopify-Händler Zugang zu einer Technologie, die bisher nur für Großkonzerne mit entsprechenden Budgets erreichbar war.
„Wir demokratisieren den Zugang zu KI-gesteuerten Verkaufserlebnissen,“ betont Drut. „Im Gegensatz zu geschlossenen Systemen wie Amazon Live schaffen wir ein offenes Ökosystem, das Marken die volle Kontrolle über ihre Daten lässt.“
Die technische Integration ist bemerkenswert unkompliziert: Drei Klicks sollen genügen, um einen personalisierten Avatar zu erstellen und in bestehende Shopify-Shops einzubinden – eine niedrige Einstiegshürde, die selbst technisch weniger versierten Händlern den Zugang ermöglicht.
Die dunkle Seite der digitalen Verkäufer
Doch wie bei jeder transformativen Technologie gibt es Schattenseiten. Die Avatare erfassen und analysieren Kaufverhalten, Blickbewegungen und emotionale Reaktionen in einem bisher unerreichten Detailgrad. Daraus entstehen Nutzerprofile von beispielloser Tiefe.
„Wir stehen am Anfang von Surveillance Capitalism 2.0,“ warnt Datenschutzaktivistin Helena Reinhardt. „Diese Systeme wissen nicht nur, was Sie kaufen, sondern wie Sie emotional darauf reagieren – eine Goldgrube für Manipulation.“
Verb beteuert, alle Daten DSGVO-konform zu behandeln und ausschließlich zur Personalisierung zu nutzen. Doch Experten bleiben skeptisch. „Die Frage ist nicht, ob die Daten jetzt missbraucht werden, sondern welches Potenzial zur Manipulation in fünf Jahren besteht,“ so Reinhardt.
Ein weiteres ethisches Dilemma betrifft die Transparenz. Während TikTok KI-generierte Inhalte mit kleinen Hinweisen kennzeichnet, setzt Verb auf diskrete digitale Wasserzeichen, die für den durchschnittlichen Nutzer kaum wahrnehmbar sind.
„Nutzer müssen jederzeit erkennen können, ob sie mit einem Avatar oder Menschen interagieren,“ fordert Matthias Nießner vom KI-Avatar-Pionier Synthesia. „Ansonsten untergraben wir das Fundament digitalen Vertrauens.“
Von Avataren zu Hologrammen: Die nächste Grenze
Während die Konkurrenz noch an physischen Robotern für Lagerhäuser arbeitet, blickt Verb bereits auf die nächste Evolutionsstufe: 3D-Hologramme für virtuelle Stores.
In einem abgeschirmten Bereich des Verb-Hauptquartiers präsentiert Cutaia einen Prototyp. Mithilfe einer AR-Brille materialisiert sich ein Avatar im Raum, der physische Produkte vorstellt, die man anfassen kann. Diese Hybridtechnologie, entwickelt in Zusammenarbeit mit dem Spezialistenstudio Commacross, soll die Grenzen zwischen digitalem und physischem Handel endgültig auflösen.
„In drei Jahren wird es normal sein, dass Ihr persönlicher Shopping-Assistent als Hologramm in Ihrem Wohnzimmer erscheint, während echte Produkte zur Anprobe geliefert werden,“ prophezeit Cutaia. „KI ist kein Feature mehr, sondern das Betriebssystem der gesamten Customer Journey.“
Die Zukunft des Shoppings – menschlich oder künstlich?
Mit dem heutigen Launch signalisiert Verb Technology das Ende einer Ära, in der Online-Shops statische, unpersönliche Kataloge waren. Stattdessen entsteht ein neues Paradigma dynamischer, hyperpersonalisierter Einkaufserlebnisse, die sich mit jedem Besuch weiterentwickeln.
Die zentrale Frage bleibt jedoch unbeantwortet: Werden Verbraucher diese neue Welt annehmen? Werden sie die unheimliche Vertrautheit eines Avatars schätzen, der ihre Vorlieben besser kennt als sie selbst? Oder werden sie auf der Suche nach authentischem menschlichem Kontakt zu traditionelleren Einkaufsformen zurückkehren?
Die Antwort liegt nicht in technologischen Spezifikationen oder Marktprognosen, sondern in unserer kollektiven Bereitschaft, die Grenzen zwischen Mensch und Maschine, zwischen Service und Überwachung, zwischen Bequemlichkeit und Kontrolle neu zu definieren.
Eines ist sicher: Mit hyperrealistischen KI-Verkäufern, die rund um die Uhr lächeln, beraten und niemals um Provision kämpfen, hat die Zukunft des E-Commerce bereits begonnen. Ob wir bereit sind oder nicht.